
Bildnachweis: VolksWirtschaft Lindenhof eG, bearbeitet von genossenschaften.de
Ende 2018 schloss im hessischen Bärstadt mit der Dorfpizzeria das letzte gastronomische Angebot im Ort. Ab da gab es für die Bärstadter Bevölkerung keine Möglichkeit mehr, spontan nach Veranstaltungen, Sitzungen oder für ein Feierabendbier nach getaner Arbeit ein gastronomisches Angebot wahrzunehmen. Da neue Pächter schwer zu finden waren, suchten einige Bärstädter:innen nach einer Möglichkeit, diesen Begegnungsort für das Dorf zu erhalten und kamen bald auf die Idee, eine Kneipe in Form einer Genossenschaft selbst zu betreiben und gründeten die VolksWirtschaft Lindenhof eG. Nur wenige Zeit später, bot die Genossenschaft den Menschen aus Bärstadt und Umgebung weit mehr an, als die Möglichkeit ein Bier zu trinken.
Begegnungskultur im Dorf erhalten
Um die Umsetzbarkeit ihres Vorhabens zu prüfen, kamen die angehenden Gründer:innen auf die Idee, sich Rat und Inspiration bei Gleichgesinnten zu holen und besuchten die genossenschaftlich geführte Kneipe Gaststätte Jäger eG im knapp 200 km entfernten Hülsenbusch. Nach diesem Besuch waren die Bärstädter:innen überzeugt, dass sie ihren Plan in die Tat umsetzen könnten und erarbeiteten ein Konzept. Als sie dieses bei einer ersten Infoveranstaltung mit über 150 Teilnehmenden vorstellten, war klar: Das Interesse ist groß genug, um eine Genossenschaft zu gründen.
„Wir haben damals gesagt, wenn da mehr als 100 Leute kommen, dann wissen wir, das Interesse im Ort ist so groß, dass auch ein längerfristiger wirtschaftlicher Betrieb aufrechterhalten werden kann“, erinnert sich Vorstand Stefan Münzer an die Anfangszeit zurück.
Dabei war ein wichtiger Aspekt der VolksWirtschaft Lindenhof eG, dass sie von Beginn an als weit mehr als eine Kneipe konzipiert war. Nachdem bereits der Vorgänger aus finanziellen Gründen schließen musste, war den Gründer:innen klar:
„Die Idee, einfach eine Kneipe zu gründen und zu warten, dass Gäste kommen, das funktioniert nicht.“
Die VolksWirtschaft Lindenhof eG sollte ein lebendiger Treffpunkt für Jung und Alt, ein Ort der Begegnung und des Austauschs sein. Das sollte durch ein vielfältiges Programm erreicht werden. Heute reichen die Veranstaltungen von musikalischen Abenden über Lesungen und Comedy bis hin zu Bingo- und Kneipenquiz-Abenden.
„Bei so einem Bingo sitzen da an einem Tisch unter Umständen drei Generationen zusammen – das ist richtig schön, wenn dann die Oma mit den Enkelkindern spielt“, so Münzer.
Neue Bande unter den Menschen im Ort zu knüpfen, war seit Gründung ein erklärtes Ziel der Genossenschaft. Das Angebot wird daher nicht nur generationenübergreifend gestaltet, sondern soll auch speziell bei der Integration von Neu-Bärstädter:innen unterstützen oder Menschen, die sich bisher in der „klassichen Kneipe“ nicht wiedergefunden haben. Mit Erfolg: Das Programm ziehe ein breites Spektrum an Gästen an, insbesondere fühlten sich davon auch Leute angesprochen, „die sonst im Ortsleben nicht oder noch nicht verankert sind und das ist das Schöne bei der Sache“, freut sich Münzer.
Nicht nur die Programmgestaltung, auch die Kneipe als Genossenschaft zu betreiben, überzeugt als solides und nachhaltiges Modell.
Der Weg zum Erfolg: Gegenseitige Unterstützung und Offenheit
Als die Gründer:innen an ihrem Geschäftsmodell arbeiteten, kristallisierte sich schnell heraus, dass alle den Wunsch hatten, so transparent und demokratisch wie möglich miteinander zu wirtschaften. So fiel die Entscheidung, ihr Unternehmen als Genossenschaft zu führen. Organisiert wird der Betrieb von einem engagierten Thekenteam mit rund 35 Personen. Neben den Einflussmöglichkeiten auf das gastronomische und kulturelle Angebot, profitieren die Mitglieder von Vergünstigungen bei privaten Feiern und Freibier zu besonderen Anlässen.
Ein weiterer Aspekt, der für die Genossenschaft sprach, war der gemeinsame Wunsch, nicht nur positiv Einfluss auf das Privatleben der Bärstadter:innen zu nehmen, sondern auch auf die Wirtschaft in der Region.
„In unserer Satzung steht, dass die Gewinne der Genossenschaft vorrangig im Ort investiert werden sollen und in regionale Projekte“, erklärt Münzer.
Die Getränke und Speisen stammen bewusst aus der Region – vom Bier aus dem Nachbardorf bis zum Wein von der Winzergenossenschaft Erbach. Alle Getränke und Speisen kommen aus der näheren Umgebung. Generell ist den Mitgliedern die Kooperation in der Region wichtig, wenn möglich mit anderen Genossenschaften.
„Wir achten dabei auch darauf, dass wir uns im Genossenschaftsverbund vernetzen“, so Münzer.
Die Vorteile dieser Vernetzung beruhen seit Gründung bis heute auf Gegenseitigkeit.
„Wir fühlen uns schon in der Genossenschaftsfamilie sehr gut aufgehoben. Neben einigen von unseren Handelspartnern, hat uns das auch auf der Suche nach einer Bank geholfen. Wir haben mit der Volksbank Rheingau eine Bank gefunden, die von allen Banken am sichersten im Umgang mit Genossenschaften war und die uns bis heute unkompliziert und kompetent begleitet“, sagt Münzer.
Die heute etwa 220 Mitglieder der Genossenschaft halten nicht nur den Kneipenbetrieb am Laufen. Neben laufenden Programmaktualisierungen, Renovierungsarbeiten und der stetigen Verbesserung der Ausstattung der Räumlichkeiten, unterstützt die VolksWirtschaft Lindenhof eG gleichzeitig andere Gründungsinitiativen in der Region – etwa durch das Programm „Starkes Dorf Plus“.
„Wir haben mittlerweile rund zehn Interessensgemeinschaften, die auch auf dem Weg sind, eine genossenschaftliche Kneipe oder Begegnungsstätte zu gründen – und da helfen wir mit unseren Erfahrungen“, so Münzer.
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